Körpereigenes Protein gegen Parkinson

Kennzeichnend für Parkinson ist der sinkende Spiegel des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum und des National Institute of Allergy and Infectious Diseases des NIH in Bethesda haben nun einen Weg gefunden, mit dem sich die gesunkene Dopaminproduktion möglicherweise wieder in Gang bringen lässt. Dazu haben sie ein körpereigenes Protein so verändert, dass es in die dopaminproduzierenden Zellen gelangt und für steigende Dopaminwerte sorgt [1]. Auch wenn die klinische Anwendung noch Zukunftsmusik ist, eröffnet ein solcher proteinbasierter Ansatz neue Therapiemöglichkeiten.

Sinkende Dopaminwerte und mögliche Ursachen

Warum die Dopaminwerte bei Parkinson absinken ist Gegenstand intensiver Forschung. Einiges deutet darauf hin, dass das Protein α-Synuklein über den Vagusnerven aus dem Darm ins Gehirn gelangt und dort eine direkte Interaktion mit dem Prionprotein PrPc Parkinson eingeht. Wie das die Verfügbarkeit von Dopamin verändert, ist Gegenstand zahlreicher aktueller Untersuchungen.

Für Bildung und Ausschleusung von Dopamin aus den Dopamin-produzierenden Zellen der Schwarzen Substanz (Substantia nigra) sind mehrere Proteine verantwortlich. Dazu gehören die Tyrosinhydroxylase (TH), die die Aminosäure Tyrosin in die Dopamin-Vorstufe Levodopa umwandelt, der Dopamintransporter (DAT), der Dopamin in die Zellen transportiert und der vesikuläre Monoamintransporter (VMAT), der für die Bildung der Neurotransmitter-Vesikel mit Dopamin und damit die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen verantwortlich ist [2].

Nurr1 ist ein wichtiger Transkriptionsfaktor

Diesen Proteinen ist gemein, dass ihre Expression durch den Transkriptionsfaktor Nurr1 (nuclear receptor-related 1 protein) geregelt wird [3]. Überhaupt spielt Nurr1 eine Schlüsselrolle im dopaminergen System des Gehirns – es beeinflusst Bildung, Wachstum, Differenzierung und Überleben dopaminerger Neuronen [4].

Daher ließe sich die nachlassende Funktion der dopaminergen Neuronen bei Parkinson-Patienten durch eine nachlassende Bildung von Nurr1 erklären [5].

Parkinson-Therapie mit Nurr1

Es ist naheliegend, dass man mit Nurr1 die nachlassende Dopaminwirkung wieder ankurbeln könnte. Leider ist das nicht so ohne weiteres möglich – als Transkriptionsfaktor hat es eigentlich im Blut nichts zu suchen und wird von Zellen auch nicht aufgenommen, geschweige denn in den Kern eingeschleust, wo es die Transkription von Genen anschalten könnte. Daher wäre Nurr1 als Tablette oder in anderer Arzneiform nutzlos.

Man hat bereits versucht, Nurr1 in einen Virus verpackt in die dopaminergen Nervenzellen einzuschleusen [6,7]. Allerdings sind gentechnische Verfahren mit Viren in ihrer Anwendung immer noch zweifelhaft. Daher haben die Forscher der Ruhr-Universität Bochum einen anderen Weg gewählt.

Wie bringt man Nurr1 in die Zelle?

Um Nurr1 in die Zellen und ihre Kerne zu bringen haben sich die Wissenschaftler einen Trick des Milzbranderregers Bacillus anthracis abgeschaut [1]. Dieser verwendet das Protein LF (lethal factor), um sein Toxin in Zellen einzuschleusen. Eine geringfügig veränderte Variante, LFn, haben sie an Nurr1 angehängt, zusammen mit SUMO, Ubiquitin und einer sogenannten Kernlokalisationssequenz (NLS).

Ubiquitin ist ein Eiweiß, das reversibel an andere Proteine bindet und dessen Verteilung in einer Zelle bestimmt. SUMO (small ubiquitin-like modifier) agiert ähnlich wie Ubiquitin und vermag Proteine in den Zellkern einzuschleusen. Ist ein solches Fusionsprotein in einer Zelle angelangt, schneiden spezielle Enzyme, die DUBs (deubiquinating enzymes) den Ubiquitinanteil ab und setzen das eigentliche Zielprotein frei, das so seiner Funktion nachzukommen vermag. Im Falle des Nurr1 dient die Kernlokalisationssequenz, wie der Name bereits verrät, der Einschleusung in den Zellkern, wo der Transkriptionsfaktor mit der Ablesung von Genen beginnt.

Funktioniert das tatsächlich?

So weit die Theorie – Fusionsproteine lassen sich heutzutage am Reißbrett planen und herstellen, aber ob sie tatsächlich so funktionieren wie vorgesehen steht auf einem anderen Blatt. Daher haben die Bochumer Forscher einen Test entwickelt, mit dem sie die Tätigkeit der Tyrosinhydroxylase in Zellkulturzellen messen können, einem Enzym, dessen Expression Nurr1 wie oben beschrieben ebenfalls regelt. Tatsächlich konnten sie zeigen, dass bei den verwendeten Neuroblastomzellen die Tyrosinhydroxylase-Aktivität abhängig von der eingesetzten Konzentration des Fusionsproteins anstieg.

Nicht nur das, das vermehrt gebildete Nurr1 schützte zudem die Zellen vor dem Zellgift 6-Hydroxydopamin (6-OHDA). Diese dem natürlichen Dopamin ähnliche Substanz verursacht in dopaminergen Nervenzellen oxidativen Stress [8]. Man nimmt an, dass ähnliche Metabolite wie 6-OHDA im natürlichen Stoffwechsel zur schleichenden Vergiftung von Nervenzellen führen, sodass der hier beobachtete neuroprotektive Effekt auch im menschlichen Gehirn eine Rolle spielen dürfte. Dass oxidativer Stress ebenfalls an der Entstehung von Parkinson beteiligt ist, ist schon länger bekannt [9].

Was bringen die neuen Erkenntnisse über Nurr1 und Parkinson?

Nurr1 bietet einen interessanten neuen Ansatz zur Behandlung von Parkinson. Bisher versucht man bei der Therapie das mangelnde Dopamin durch künstlich zugeführtes L-Dopa zu substituieren. Mit dem Nurr1-Fusionsprotein wäre dagegen eine Protein-basierte Therapie der Ursachen von Parkinson möglich, welche die Entstehung der Krankheit bereits im Vorfeld verhindern könnte.

Wie geht es weiter?

Dass ein künstliches Protein das macht, was man von ihm erwartet, ist keinesfalls selbstverständlich. Viele Stoffwechselprozesse, mit denen man nicht rechnet, können die schönste Planung zunichte machen. Das Nurr1-Fusionsprotein funktioniert immerhin schon mal so wie es sollte – im Zellkulturmodell.

Wie das im Tiermodell als nächster Stufe aussieht, ist noch nicht absehbar. Hier sind die physiologischen Vorgänge noch ungleich komplizierter als bei Zellen in einer Nährlösung, von der Aufnahme im Magen-Darm-Trakt über den Bluttransport bis zu anderen Einflüssen. Selbst wenn man diese Hürden genommen hat, dauert es sicherlich noch Jahre, bis erste klinische Studien mit Nurr1 in einer geeigneten medikamentösen Form möglich sind.

Quellen, Links und weiterführende Literatur

  1. Besprochene Veröffentlichung:
    Paliga D, Raudzus F, Leppla SH, Heumann R, Neumann S.
    Lethal Factor Domain-Mediated Delivery of Nurr1 Transcription Factor Enhances Tyrosine Hydroxylase Activity and Protects from Neurotoxin-Induced Degeneration of Dopaminergic Cells.
    Mol Neurobiol. 2018 Aug 18. doi: 10.1007/s12035-018-1311-6.
  1. Jankovic J, Chen S, Le WD.
    The role of Nurr1 in the development of dopaminergic neurons and Parkinson’s disease.
    Prog Neurobiol. 2005 Sep-Oct;77(1-2):128-38. Review.
  1. Decressac M, Volakakis N, Björklund A, Perlmann T.
    NURR1 in Parkinson disease–from pathogenesis to therapeutic potential.
    Nat Rev Neurol. 2013 Nov;9(11):629-36. doi: 10.1038/nrneurol.2013.209. Review.
  1. Sacchetti P, Carpentier R, Ségard P, Olivé-Cren C, Lefebvre P.
    Multiple signaling pathways regulate the transcriptional activity of the orphan nuclear receptor NURR1.
    Nucleic Acids Res. 2006;34(19):5515-27.
  1. Chu Y, Kompoliti K, Cochran EJ, Mufson EJ, Kordower JH.
    Age-related decreases in Nurr1 immunoreactivity in the human substantia nigra.
    J Comp Neurol. 2002 Aug 26;450(3):203-14.
  1. Oh SM, Chang MY, Song JJ, Rhee YH, Joe EH, Lee HS, Yi SH, Lee SH.
    Combined Nurr1 and Foxa2 roles in the therapy of Parkinson’s disease.
    EMBO Mol Med. 2015 May;7(5):510-25. doi: 10.15252/emmm.201404610.
  1. Oh SM, Chang MY, Song JJ, Rhee YH, Joe EH, Lee HS, Yi SH, Lee SH.
    Combined Nurr1 and Foxa2 roles in the therapy of Parkinson’s disease.
    EMBO Mol Med. 2016 Feb 1;8(2):171. doi: 10.15252/emmm.201506162
  1. Michel PP, Hefti F.
    Toxicity of 6-hydroxydopamine and dopamine for dopaminergic neurons in culture.
    J Neurosci Res. 1990 Aug;26(4):428-35.
  1. Hauser DN, Hastings TG.
    Mitochondrial dysfunction and oxidative stress in Parkinson’s disease and monogenic parkinsonism.
    Neurobiol Dis. 2013 Mar;51:35-42. doi: 10.1016/j.nbd.2012.10.011. Review.